Berlin (ots) –
Von der Lokomotive Europas zum Schlusslicht. Deutschland verliert zusehends an Wettbewerbsfähigkeit. Ein Grund dafür sei die zu hohe Abgabenlast, analysiert der Experte für Sozial- und Gesundheitspolitik Frank Rudolph, Geschäftsführer des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit (BVVG), in seiner Politik-Kolumne. Steuern und Abgaben, Energiepreise, Bürokratie und Regulierung machten Unternehmen und Beschäftigten das Leben schwer. Der Ampel-Regierung wirft Rudolph vor, Warnungen vor einem Bruch des Generationenvertrags infolge des demografischen Wandels zu verdrängen und der Gefahr nicht durch entschlossenes Handeln entgegenzuwirken. Deutschland brauche einen umfassenden Kurswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, wie die Union ihn fordere. Und zwar spätestens in der nächsten Legislaturperiode, wenn das schlimmste Szenario noch verhindert werden soll.
Der Ampel-Zug rollt in Richtung Pleite
Von Frank Rudolph
Der Zug wird immer schneller. Die Lokomotive gehorcht nicht mehr. Die Notbremse? Außer Betrieb. Der Lokführer? Nicht auffindbar. Schier unaufhaltsam geht es tiefer hinein in die endlose Röhre, und schließlich in den dunklen Abgrund. Friedrich Dürrenmatts surreale Kurzgeschichte „Der Tunnel“ ist eine Metapher für hilf- und ratloses Agieren im Angesicht einer Gefahr. Die Story erschien vor mehr als 70 Jahren. Sie wirkt heute aktueller denn je, wenn man sich anschaut, wie die Ampelkoalitionäre in Berlin mit den großen Herausforderungen unserer Zeit umgehen.
Es ist, als ob der Zug namens Deutschland immer mehr Fahrt in eine verhängnisvolle Richtung aufnimmt. Beim Wirtschaftswachstum geht es bergab. Die Infrastruktur verkommt. Bürger und Unternehmen werden mit immer mehr Bürokratie traktiert, die Lebenshaltungskosten steigen, die medizinische Versorgung gerät in Gefahr, ebenso die Pflege und die Rente.
Ein politisches Trauerspiel
Derweil verabschieden sich Sozialdemokraten von der „Zeitenwende“ und blenden die Bedrohung durch den Putin-Imperialimus aus. Stattdessen wird ihr ansonsten eher unscheinbarer Frontmann zum großen „Friedenskanzler“ hochgejubelt – mit Blick auf die Europa- und die Landtagswahlen. Die Grünen verängstigen das Volk mit immer neuen Ideen für gängelnde Vorschriften, von teuren Heizungen bis zu teuren Lebensmitteln. Die Liberalen versuchen zwar, Ausgabenexzesse dieser Regierung zu bremsen, trauen sich aber nicht, die überfällige Scheidung von Rot-Grün in die Wege zu leiten.
Dieses politische Trauerspiel wäre freilich nur halb so schlimm, würde es sich nicht zeitgleich mit der zunehmenden Gefahr einer Finanzierungskrise unseres Sozialsystems abspielen. Einer Krise, die wie ein Damoklesschwert über Deutschland hängt. Ohne energisches Gegensteuern droht daraus nach Ansicht von Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern in nicht allzu ferner Zukunft eine Staatskrise zu werden. Samt sozialen Unruhen, die selbst die schärfsten Bauernproteste von heute wie Trotzanfälle von Kindern aussehen lassen würden.
„Wir haben einfach kein Geld mehr!“
Eine Vorahnung vom Ernst der Lage bekamen Ende Januar Zuschauer der ARD-Talkshow „Hart aber fair“. In einer Debatte über staatliche Hilfen und Subventionen überraschte der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Staatsminister Carsten Schneider (SPD), mit einer unerwarteten Äußerung: „Ich wollte mal kurz zur Finanzlage ein paar ehrliche Worte sagen. Wir haben einfach kein Geld mehr!“
Einzelheiten zu der äußerst misslichen Situation, auf die Deutschland ohne eine entschlossene und baldige Kursänderung zurollen würde, lassen sich dem im März vorgelegten Tragfähigkeitsbericht des Bundesfinanzministeriums entnehmen: Infolge des demografischen Wandels, also der Alterung der Bevölkerung, könnten die Sozialausgaben – vor allem für Rente, Gesundheit, Pflege und Familie in den kommenden Jahrzehnten von derzeit 27,3 Prozent der Wirtschaftsleistung bis auf 36,1 Prozent klettern. Den Berechnungen zufolge würde sich die gesamtstaatliche Verschuldung bis 2070 im „günstigen“ Fall von aktuell 64 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 140 Prozent vervielfachen – und in einem „ungünstigen Szenario“ sogar auf 345 Prozent.
Anstieg der Sozialabgaben ist besorgniserregend
Wie beunruhigend dieses Szenario ist, wird deutlich, wenn man nicht nur die Ausgaben betrachtet, sondern auch die daraus resultierende Entwicklung der Abgaben. Die nämlich könnten derart stark steigen, dass Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit – ähnlich wie Dürrenmatts rasender Zug ins Unglück – auf einen tiefen und dunklen Abgrund zusteuert. Unter anderem würde das bedeuten, dass der Generationenvertrag zerbricht – und mit ihm der gesellschaftliche Zusammenhalt.
Immer weitere Erhöhungen der Sozialabgaben – darunter maßgeblich auch die für die Gesetzlichen Krankenversicherungen – würden zu einem „Kipppunkt“ führen „bei dem die junge Generation den Generationenvertrag einseitig aufkündigt und sich entweder in Schwarzarbeit oder Auswanderung verabschieden wird“. Das ist die Quintessenz einer Expertise für die beiden Wirtschaftsverbände „Die Familien-Unternehmer“ und „Die jungen Unternehmer“.
Ökonomischer und politischer Sprengstoff
Die Berechnungen dieses Gutachtens zeigen, dass bei Fortschreibung der Leistungsansprüche des Status quo der Gesamtbeitragssatz aus der Gesetzlichen Rentenversicherung, der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Sozialen Pflegeversicherung sowie der Gesetzlichen Arbeitslosenversicherung „von heute 40,9 Prozent auf über 50 Prozent im Jahre 2050 ansteigen wird“, warnen Stefan Fetzer, Professor für Public Health und Internationale Gesundheitssysteme Hochschule Aalen, und Professor Christian Hagist vom Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpolitik der Otto Beisheim School of Management. Die Experten bezeichnen die demografische Nicht-Nachhaltigkeit der Sozialsysteme als „ökonomischen wie politischen Sprengstoff“.
Sozialausgaben müssen tendenziell sinken
Die Schlussfolgerung daraus sollte unseren Regierenden völlig klar sein – sofern sie ihren Job nicht nach der Drei-Affen-Methode machen (Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen): Die Sozialausgaben müssen tendenziell sinken statt stärker zu steigen als das Bruttoinlandprodukt. Deshalb rät der Ökonom Lars Feld (bis 2021 zehn Jahre lang einer der Wirtschaftsweisen, heute Berater von Bundesfinanzminister Christian Lindner), den Sozialstaat nicht weiter aufzublähen.
Feld weist auch auf das Verhältnis von Sozialausgaben und der unumgänglichen Erhöhung der Ausgaben für die Sicherheit unseres Landes hin: „Soll im Zeitablauf eine allmähliche Strukturveränderung hin zu höheren Verteidigungsausgaben führen, muss der Anteil der Sozialausgaben am Bundeshaushalt allmählich sinken“, sagte er der „Rheinischen Post“. Das bedeute, „keinen weiteren Ausbau des Sozialstaats vorzunehmen. Eine solide Finanzpolitik verbietet Sozialausgaben auf Pump gerade angesichts der Dynamik, die sich aus der Demografie ergibt.“
Effizienz erhöhen oder Leistungen kürzen – vielleicht oder auch beides
Natürlich gibt es Stellschrauben, mit denen sich das Problem bereits jetzt angehen ließe. Weil auf der Einnahmenseite, also bei Sozialabgaben und Steuern, noch mehr Geld letztlich nur um den Preis des weiteren Niedergangs des Wirtschaftsstandorts Deutschland einzutreiben wäre, müssen Reformen entweder die Effizienz des Systems erhöhen oder es müssen Leistungen reduziert werden. Womöglich auch beides.
Augenfällig ist das in dem Bereich, den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu verantworten hat. Längst überfällig ist eine grundlegende Reform der defizitären Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Das Hauptproblem liegt hier darin, dass von den rund 74 Millionen Menschen in Deutschland, die bei den verschiedenen GKV-Kassen versichert sind, nur etwas mehr als 58 Millionen tatsächlich Beiträge zahlen. Die Zahl der kostenfrei versicherten Familienmitglieder lag 2023 bei mehr als 16 Millionen. Hinzu kommen Menschen, die aus verschiedenen Gründen beitragsfrei versichert sind. Es ist also kein Wunder, dass die Einnahmen der GKV hinter den Kosten der im Zuge der Inflation und des medizinischen Fortschritts teurer werdenden medizinische Versorgung hinterherhinken.
Genossen träumen von der Bürgerversicherung
Warum kann gesetzlich Versicherten nicht abverlangt werden, was für privat Versicherte selbstverständlich ist, nämlich dass sie mehr finanzielle Eigenverantwortung übernehmen? In der PKV zahlen jeder und jede einzelne erwachsene Versicherte Beiträge. Wäre das in der GKV auch so, müsste sie nicht jährlich von den Steuerzahlenden – unter ihnen auch die Privatversicherten – über Wasser gehalten werden. Für Karl Lauterbach, der natürlich gern wiedergewählt werden möchte, ist das freilich ein „No-Go“. Ebenso wie der Gedanke, dass gewisse Leistungskürzungen durchaus zumutbar wären. Wirklich angemessene Zuzahlungen bei Kuren etwa, die gesetzlich Versicherte gern in Anspruch nehmen. Privatversicherte hingegen – was PKV-Kritiker in den Debatten gern mal unterschlagen – müssen Kuren selbstverständlich selbst zahlen. Aber viel lieber als über Sparpotenziale nachzudenken, träumen SPD-Sozialpolitiker von einer sogenannten Bürgerversicherung für alle. Der möchten die Genossen dann die Private Krankenversicherung (PKV) einverleiben.
Begehrlichkeiten richten sich auf private Alterungsrückstellungen
Ihre Begehrlichkeiten richten sich dabei auf die Alterungsrückstellungen, die im Laufe von Jahrzehnten durch alle Privatversicherten gebildet wurden – 2023 beliefen sie sich in der Kranken- und Pflegeversicherung auf insgesamt mehr als 328 Milliarden Euro. Das Geld wird eingesetzt, damit die PKV-Beiträge, die für ältere Menschen meist deutlich über jenen der GKV liegen, nicht allzu stark steigen. Es gehört nicht den privaten Kassen, sondern allein deren Versicherten. Versuche, diese Gelder einer staatlichen Einheitskasse zuzuschieben, wären ein massiver Verstoß gegen unsere Verfassung.
Dass Lauterbach gern mehr Geld zur Verfügung hätte, ist freilich nachvollziehbar. Die zahllosen Reformen, Reförmchen und neuen Projekte, die er angeschoben hat, würden in der Summe wohl etliche Hundert Milliarden verschlingen, wenn man sie denn verwirklichen sollte. Mit Abstand am teuersten käme die Steuer- und Beitragszahler Lauterbachs immer noch umstrittene Krankenhausreform zu stehen. Doch wie sagte der SPD-Politiker Schneider so offenherzig in der ARD? „Wir haben einfach kein Geld mehr!“
Union fordert einen umfassenden Kurswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik
Mit einem klaren Blick auf die reale Lage unseres Landes fordert die Union deshalb einen umfassenden Kurswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Tino Sorge, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, warf der Ampel vor, die Abgabenlast immer weiter in die Höhe zu treiben. „Wir müssen zurück zur Sozialgarantie von 40 Prozent“, erklärte Sorge. Die Summe der Sozialabgaben soll also wieder auf maximal 40 Prozent des Bruttoarbeitslohns begrenzt werden. Der CDU-Politiker rief die Koalition auf, realistische Finanzierungsvorschläge für Gesundheit und Pflege vorzulegen. „Anstelle immer neuer Beitragssprünge brauchen wir endlich eine ehrliche Finanzierungsdebatte.“ Dabei sei auch über ein Mehr an privater und betrieblicher Vorsorge nachzudenken.
40-Prozent-Grenze muss wieder unverrückbar sein
Es ist kein Wunder, wenn Arbeitgeberverbände das ganz ähnlich sehen. Dass unser Land unter der Ampel-Führung beim Wachstum zu den Schlusslichtern zählt, hat Gründe: „Ob Steuern und Abgaben, Energiepreise, Bürokratie und Regulierung oder die Situation auf dem Arbeitsmarkt – in all diesen Bereichen werden deutsche Unternehmen überdurchschnittlich belastet“, heißt es in einem Schreiben der CDU-Wirtschaftspolitiker Jens Spahn und Julia Klöckner an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Auch sie fordern darin, die Summe der Sozialabgaben wieder auf maximal 40 Prozent des Bruttoarbeitslohns zu begrenzen. Unter CDU-geführten Regierungen gehörte die 40-Prozent-Marke viele Jahre zu einer unverrückbaren Obergrenze. So wurden unbezahlbare sozialpolitische Ausgabenwünsche eingehegt. Es ist höchste Zeit, dass unser Land dahin zurückkehrt. Und zwar spätestens mit einer neuen Regierung in der nächsten Legislaturperiode. Denn sollte es nicht gelingen, diese Koalition abzulösen, fährt Deutschland mit dem Ampel-Zug immer weiter in Richtung Pleite.
Der Autor: Frank Rudolph (Jahrgang 1960) ist mit der Kalkulation und Abrechnung medizinischer Leistungen seit vielen Jahren vertraut. Als Geschäftsführer des Bundesverbandes Verrechnungsstellen Gesundheit e.V. (BVVG) kennt er die Folgen gesundheitspolitischer Weichenstellungen in Bund und Ländern für die medizinische Versorgung der Bevölkerung – insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses von Kosten und Nutzen. Der in Essen geborene Betriebswirt ist Mitglied der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU. Von 2007 bis 2013 war Rudolph Mitglied der Bundeskommission Gesundheit. Seit 2007 ist er 1. stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitspolitischen Arbeitskreises der CDU NRW.
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